China’s ‘neue Seidenstrasse’
Um seine gigantischen Fremdwährungsreserven angesichts historisch tiefer Zinssätze gewinnbringend anzulegen, hat ‘China Inc.’ in letzter Zeit im grossen Stil westliche Unternehmen aufgekauft, darunter auch schweizerische. Ebenfalls als Notüberlauf interner Überschüsse begann das Projekt ‘Neue Seidenstrasse’, oder OBOR (‘One Belt, One Road’) Initiative – bessere Verbindungen auf dem Land- und Seeweg von China nach Europa und Afrika. Handelt es sich dabei um eine Art Marshallplan des 21. Jahrhunderts, von dem China, die Transitländer aber auch auswärtige Anbieter von Qualitätsprodukten profitieren?
Chinas Planer hatten zuvor während Jahrzehnten die Zementproduktion und das Baugewerbe gefördert. Zu stark und zuviel, wie sich herausstellte als in der Folge der Einkind-Politik und steigendem Wohlstand die Bevölkerung nicht so schnell zunahm wie angenommen. Da bot sich das Grossprojekt OBOR mit entsprechenden Exporten als Lösung an.
Präsident Xi Jinping erkannte die ideale Gelegenheit mit OBOR den seinen Landsleuten versprochenen „Chinesischen Traum“ ins Ausland zu projizieren. Als Jahrhundertprojekt, das gleichzeitig fehlende Infrastruktur im Grossraum Eurasien schaffen, aber dort auch chinesischen Einfluss und Interventionsmöglichkeiten zementieren würde.
Die geopolitischen Hürden auf dem Weg zur „Neuen Seidenstrasse“ sind aber beträchtlich. Erstens ist da die praktische Durchführung zu nennen, wo zwei Wege offen stehen. Möglichst alles selber machen, mit eigenen Unternehmen und eigenen Arbeitern, so wie das China in Afrika bereits praktiziert. Allerdings mit sehr gemischtem Erfolg, da lokales Gewerbe kaum profitiert und das Problem der eingeflogenen, nicht assimilierten „ugly Chinese“ geschaffen wird. Oder dann Projekte lokal vergeben mit der akuten Gefahr, dass ein Teil, mitunter wohl ein grosser Teil der eingesetzten Ressourcen, in privaten Taschen versickert.
Zweitens sind Zentralasien, aber auch Länder wie Afghanistan und Pakistan als Transitstationen von OBOR Flickteppiche von Mehr- und Minderheiten ethischer und religiöser Natur. Spätestens mit dem Bau der Seidenstrasse und der damit verbundenen Präsenz wird es für China nicht mehr möglich sein, der bisherigen Politik der strikten „Nichteinmischung in interne Angelegenheiten“ treu zu bleiben. Dies gilt insbesondere für die akute und gewalttätige Spaltung aller Muslime in von Saudi-Arabien finanzierte und angeführte Sunniten und dem Widerpart Schia mit Iran an der Spitze.
Drittens ist China trotz seiner Reserven mit einem grossen Finanzierungsproblem konfrontiert. Entsprechend der Wirtschaftsstruktur des Landes kommt beim Projekt ein beträchtlicher Teil der Projektgelder von staatlicher Seite. Entweder direkt von öffentlichen Entwicklungsbanken oder dann indirekt via staatliche Verbilligung der Mittel von nur auf dem Papier privaten Banken und Unternehmen.
Angesichts der gigantischen Ausmasse des Projektes wird aber zu dessen Finanzierung der internationale private Kapitalmarkt beteiligt werden müssen. Ob dies mit Blick auf die erwähnten Hürden, aber auch aus Rentabilitätsgründen problemlos verlaufen wird, ist ungewiss. Die insgesamt zögernde Teilnahme hoher und höchster Vertreter der Industriestaaten am „Seidenstrasse-Gipfel“ in Beijing im Mai 2017 sind Indiz, dass Besorgnisse im Westen auch auf politischer Ebene geteilt werden.
Immer noch in geopolitischer Perspektive gilt es schliesslich zu beachten, dass mit der transsibirischen Bahn ganz im Norden bereits ein direkter Transportweg zwischen dem Grossraum Asien Pazifik und dem östlichsten Teil Europas (Brest, Weissrussland) besteht. Die ‚Transsibirische‘ könnte ausgebaut sowie im Osten an Nordost-China (u.a. Beijing), und im Westen an bestehende osteuropäische Linien angeschlossen werden. Ob allerdings China dafür auf die, im Rahmen von OBOR geplante direkte Eisenbahnverbindung von Nordwest-China(Urumqui) via Zentralasien und die Ukraine nach Europa verzichten wird, ist bereits schon angesichts der unterschwelligen, aber andauernden Rivalität zwischen Moskau und Beijing zu bezweifeln.
Mindestens ebenso komplex wie im hohen Norden präsentiert sich aber auch der geopolitische Hintergrund für eine mitunter genannte Bahnverbindung Asien-Europa ganz im Süden, vom südwestlichen China (Chengou) via das Gebiet der ‚Erzfeinde‘ Indien und Pakistan, den Iran – mit Abzweigungen in die Zentren des Mittleren Ostens – und die Türkei.
Ein Vergleich von OBOR mit dem Marshallplan, der bekanntlich sowohl der öffentlichen Infrastruktur als auch der produzierenden Industrie im kriegszerstörten Europa nach 1945 wieder auf die Beine half, ist also nicht statthaft. Die geopolitischen Rahmenbedingungen sind zu verschieden; sie müssen bei Überlegungen einzelner Unternehmen, wo und wie eine Beteiligung am Grossprojekt OBOR möglich und profitabel erscheint an erster Stelle stehen. Wie das?
Bei den eingangs erwähnten Übernahmen von westlichen Unternehmen durch ‚China Inc.‘ machen sich Gegenkräfte immer deutlicher bemerkbar, indem europäische Wirtschaftsmächte ihr gesetzliches Instrumentarium gegen unerwünschte Übernahmen aus dem Ausland ausbauen. In der Schweiz sind ähnliche Überlegungen im Gange.
Eine solch direkte Kontrolle durch den Staat von Finanzierung und Bau der Neuen Seidenstrasse zum Schutz eigener Unternehmen ist unmöglich. Umso wichtiger ist es für letztere, genau zu prüfen, wo und wie sie sich an diesem Grossunternehmen beteiligen, bei dem neben der Geopolitik auch innerchinesische Prioritäten und Entscheide eine ausschlaggebende Rolle spielen.
Die Projekte parastaatlicher, multilateraler Entwicklungsbanken liefern für diese Prüfung wichtige Hinweise. Von Interesse sind hier die 2017 ihr 50jähriges Jubiläum feiernde ADB (Asian Development Bank, Sitz in Manila) sowie die in Folge der europäischen Zeitenwende 1990 ins Leben gerufene BERD (Bank for European Reconstruction and Development, Sitz in London), die primär in Osteuropa und Zentralasien tätig ist. Beide werden zur Finanzierung und Durchführung von OBOR Projekten beigezogen werden müssen. Bei beiden wirkt die Schweiz seit Anbeginn aktiv mit. Deren Direktoren und Beamte, welche am Sitz und in Bern schweizerische Intressen vertreten, sind ebenso informiert wie ohne weiteres zugänglich.
Ob dies ebenfalls gilt für die allein von China lancierte, aber unterdessen global breit abgestützte AIIB (Asian Infrastructure Investment Bank, Sitz in Beijing) – ihr gehört auch die Schweiz an – wird an der Praxis von Planung, Finanzierung, Durchführung und Resultat von deren OBOR-Projekten zu messen sein.
Das Grossprojekt Neue Seidenstrasse stellt zweifelsohne eine vielversprechende Geschäftsmöglichkeit da für Zulieferung von Gütern und Dienstleistungen von sprichwörtlicher Schweizer Qualität. Bei allen entsprechenden Kontakten und Offerten ist immer auch der hier dargestellte geopolitische Hintergrund zu prüfen. Die eben erwähnten Experten in multilateralen Entwicklungsbanken sind dabei nur eine, aber wichtige Quelle. Für weitere, aber auch für die Rahmenbedingungen solcher Geschäfte empfehlen wir, die beigelegte allgemeine Anleitung `Geopolitische Due Diligence‘ aufmerksam zu lesen. (WOK)
Allgemeine geopolitische due diligence in schwierigen Märkten für schweizerische Unternehmen
- Kontaktnetze und Informationsquellen im Verkaufs/Lieferungs/Produktions – Land aufbauen(erste Gespräche sind fast immer gratis!)
- offiziell: schweiz. Botschaften, Swissnex (Forschung/Wissenschaft), Botschaft des Ziellandes (nicht nur für Visa!)
- halboffiziell: Switzerland-Global Enterprise (S-GE, halbstatlicher Exportförderer), Institute und think-tanks an Universitäten in der Schweiz und im Zielland, Exportförderer im Zielland
- Peer Groups: Schweiz. Handelskammern/Swiss Business Associations, International Chamber of Commerce mit nationalen Chapters.
- Güter und Dienstleistungen vor Lieferung auf ‘Dual use’ (zivile und militärische Verwendung möglich)und Nichtweiterverbreitungs (Nonproliferation) – Potential überprüfen:
- Wassenaar Group: Kontrolle von konventionellen Waffen sowie von dual-use Gütern und Technologie.
- Missile Technology Control Regime: Nichtweiterverbreitung von Waren/Technologie für Raketen und Drohnen.
- Nuclear Suppliers Group : guidelines für Exporte, die potentiell Nuklearproliferation fördern.
- Australia Group: Internationale Harmonisierung von Exportkontrollen zur Verhinderung der Entwicklung von chemischen und biologischen Kampfstoffen.
Die Schweiz ist Mitglied dieser vier internationalen Übereinkommen; deren Verletzung kann ein Strafverfahren nach sich ziehen. Information und Beratung beim Staatssekreatariat für Wirtschaft des EVD(Seco).
- Indirekte Auswirkungen: International (UNO, OECD, EU) vereinbarte, ebenso wie national von den USA verhängte Boykottmassnahmen können indirekte Auswirkungen haben, indem sie auch jene treffen, welche mit dritten Parteien Wirtschaftsbeziehungen unterhalten, die ihrerseits mit dem boykottierten Land/Produkt/Dienstleistung direkt befasst sind. Aktuelle Beispiele:
- Geschäftliche Beziehungen mit staatlichen oder privaten Firmen in Ländern, welche nordkoreanische Arbeiter beschäftigen.
- US-Strafmassnahmen gegen eine französische Bank mit einer Niederlassung in den USA, welche für den Iran Zahlungen in US Dollar abgewickelt hat, ungeachtete davon, dass die Operation weder sachlich noch territorial mit den USA zu tun hatte.
Picture: Adi Constantin