Vier Jahre Trump, und jetzt?
Eine geopolitische Analyse der Auswirkungen in, und ausserhalb der USA, eingeschlossen möglicher Veränderungen unter Präsident Biden.
1- Übersicht
Die Realität von vier Jahren Trump hat die dunklen Voraussagen zu Beginn seiner Amtszeit noch übertroffen. Er hat Amerika an den Rand eines, zumindest mentalen Bürgerkrieges gebracht und dem amerikanischen Ansehen in der Welt wohl bleibenden Schaden zugefügt. Wie lang sein Vermächtnis die USA und den Rest der Welt noch beschäftigen wird, ist nicht absehbar.
Woher die ‘Trumpismus’ genannte Politik und ihre Vereinnahme der Republikanischen Partei kommt, was sie bewirkt und was sie für die Welt bedeutet ist Thema dieser Analyse. Sie folgt den drei grossen geopolitischen Bereichen, der Politik, der Wirtschaft und der Gesellschaft. In jedem dieser drei Kapitel behandeln wir zunächst die Lage in den USA, gefolgt von den Auswirkungen ausserhalb des Landes. Jeweils am Ende jeden Abschnitts stellen wir Überlegungen an, was der Wechsel von Trump zu Präsident Biden bedeuten könnte.
2- Politik
1.2. Inland
Trump’s Nichtwiederwahl hat die amerikanische Innenpolitik einer ausserordentlichen Belastungsprobe unterzogen. Der amtierende Präsident spricht von systematischem Wahlbetrug und versucht mit allen gesetzlich vorgesehenen und nicht vorgesehenen Mitteln das Endresultat zu wenden. Im Innern hat das rechtsstaatliche Fundament der Belastung bislang widerstanden; wie lange die innenpolitische Debatte unter der Infragestellung der Legitimität des Demokratieprozesses jedoch noch leiden wird, ist offen. Der amtierende Präsident der ältesten Demokratie der Welt mit seiner nicht enden wollenden Kritik fügt seinem eigenen Land und seinen Institutionen einen grossen Reputationsschaden zu. Typisch und damit angebracht wäre eine solche Kritik an Beispielen wie Venezuela, Belarus oder anderen. Die Empörung über Trump im eigenen Land ist zudem gepaart mit dem weitherum geäusserten Gefühl des „embarrassment“, also dem Bewusstsein, dass sich die global führende Macht gegenüber der Welt eine Peinlichkeit erster Ordnung leistet.
Die Geschichte des Trumpismus beginnt 2016 mit der anfänglich nicht erwarteten Nomination Trumps zum Kandidaten der Republikanischen Partei, unerwartet wegen dem biografischen und charakterlichen Profil des Kandidaten. Nicht ganz unerwartet war hingegen der Umstand, dass sich mit diesem Kandidaten auch politische Positionen durchsetzten, die seit einiger Zeit zum Inventar der Republikanischen Partei gehören. Dazu gehören seit dem Irak-Debakel von Bush jun. die Absage an eine interventionistische Aussenpolitik, die Abwendung von multilateraler Kooperation zum Schutze von Umwelt und Menschenrechten, kurz eine Beschränkung auf Inland und Binnenwirtschaft, sowie hierin generell die Ablehnung von „big government“, also eine Einschränkung des Staates im öffentlichen Leben des Landes. Teils in einer parteipolitischen Logik, teils aus einer persönlichen Aversion gegen Obama entpuppte sich Trumps Politik zunehmend auch als von einer Besessenheit getrieben, alle Errungenschaften seines Vorgängers aus Prinzip rückgängig zu machen. Politisch knüpfte er an Postulate der Reagan’schen konservativen „Revolution“ an.
Dazu gehörten vor allem die massiven Steuersenkungen zulasten eines rasant ansteigenden staatlichen Defizits und entsprechendem Schuldenberg. Zugunsten der Rohstoff-Industrie und ohne ökologische Rücksichten hob Trump Umweltschutzbestimmungen auf. Besondere Beachtung verdient der prioritäre Fokus auf die Nomination von konservativen Richtern auf allen Stufen der Bundesgerichtsbarkeit. Schliesslich steigerte sich Trump immer weiter in eine Rhetorik, die die parteipolitisch bereits gespaltene Gesellschaft noch weiter entzweite und sogar in eine unverhohlene Unterstützung von sog. „white supremacists“ (Anhänger der Überlegenheit der weissen Rasse) und anderen politischen Rechtsextremen mündete. Bis zum Schluss gelang es ihm aber nicht, das Krankenversicherungssystem Obama-Care abzuschaffen.
Wegen einer exzessiven Nutzung von „social media“ für rabiate Verunglimpfungen von Andersdenkenden, die vom Sender Fox News bis zum Schluss mitgetragen wurden, und einer bisher unbekannten Loyalität aller republikanischen Amts- und Funktionsträger des Landes schien es beinahe unmöglich, diesem Präsidenten die Wiederwahl zu verwehren. Neben der geschlossenen, unkritischen Unterstützung der Partei galten die Wirtschaftsdaten, d.h. Wachstums- und Beschäftigungszahlen, als Garanten für Trumps Wiederwahl. Erst der Ausbruch der Corona-Pandemie, die schlecht vorbereitete Gesundheitsinfrastruktur sowie ein tatenloses und inkompetentes Krisenmanagement der Regierung Trump dürften schliesslich den Ausschlag für seine Wahlniederlage gegeben haben.
Mögliche Veränderungen unter Präsident Biden: Der Wahlsieger vom 3. November 2020, der Demokrat Joe Biden, politisch ein Mann der Mitte und mit jahrzehntelanger Erfahrung als Senator, führte seine Wahlkampagne auf der Basis von ethischen und überparteilichen Werten sowie dem Versprechen, die Spaltung der Gesellschaft zu heilen und Minderheiten ihre verfassungsrechtlichen Rechte zu gewährleisten. Bidens Kritik an Trump fokussierte sich schliesslich immer stärker auf das Versagen der Regierung in der Bekämpfung der Corona-Pandemie. Sein Wahlsieg dürfte letztlich darauf zurückzuführen sein, dass die zentrifugalen Kräfte in der Demokratischen Partei mit dem Ziel, Trump aus dem Amt zu drängen, einen taktischen Burgfrieden schlossen. Damit verbinden sich Erwartungen, dass der neue Präsident nun alle Gruppen in die Regierungsverantwortung miteinbezieht.
2.2. Ausland:
Die grösste Herausforderung für eine Regierung Biden stellt die Infragestellung der liberalen Weltordnung unter der Führung der USA durch China dar. Trump mag mit seiner gegen China vom Zaune gerissenen Polemik Frustrationen in weiten Teilen industrieller und gewerblicher Kreise befriedigt haben. Seiner Kontroverse mit China fehlte es aber an konzeptioneller Schärfe und konsequenter Umsetzung. Trumps Kontroverse mit China beschränkte sich auf wirtschaftliche Faktoren. Vom Wettbewerb der Werte und Weltanschauungen hielt er nichts. Entsprechend hat China während der Trump-Ära wegen seiner Missachtung von Menschenrechten und anderen universellen gesellschaftlichen Werten keine wirklichen Nachteile erlitten.
Im zweiten grossen Konfliktherd des Globus, dem Mittleren Osten, hat Trumps Politik darin bestanden, sich bedingungslos in den Dienst der Interessen von Saudi-Arabien und Israel zu stellen. Der Profit, den er aus diesen bevorzugten Beziehungen gezogen hat, sind milliardenschwere Rüstungsgeschäfte, für die Saudi-Arabien gerne bezahlt hat, um sich der längerfristigen Protektion der USA zu vergewissern. Da eine Abkehr vom militärischen Interventionismus aber zu den Wahlversprechungen und eindeutigen Instinkten von Trump gehörte, ist Israel, eine der dominanten regionalen Mächte, seinerseits in die Lage versetzt worden, zukünftig die militärische Hauptlast als regionaler Hegemon zu tragen.
Zur Logik dieses Konzepts gehörte auch, dass dem Erzfeind von Israel und Saudi- Arabien, der Islamischen Republik Iran, jeder erdenkliche Widerstand entgegengesetzt wurde. Trumps Austritt aus dem sog. Nuklear-Abkommen, mit dem Ziel, es zu zerstören, war die folgenschwerste Massnahme. Sie hat Entwicklungen ausgelöst, die eine Rückkehr zu dem 2016 in Kraft gesetzten Vertrag als unmöglich erscheinen lassen.
Europa und NATO, seit siebzig Jahren historisch gewachsene und gewissermassen „natürliche“ Partner der USA und ebenso lange deren kontinentaler Brückenkopf zur Eindämmung der Sowjetunion, werden danach trachten, zum guten Einvernehmen mit den USA und zur übereinstimmenden strategischen Beurteilung der Welt zurückzukehren. Auch diesbezüglich lässt sich die Störung der traditionellen Beziehungen durch Trumps Rhetorik und Brüskierungen nicht ohne weiteres rückgängig machen. Die strategische Aufgabe ist aber grundsätzlich unverändert, die Expansion von Russlands Einfluss, und auch Chinas im Osten und Südosten Europas einzuschränken und im Süden, gegen Nordafrika hin, zur Stabilisierung der Krisenverhältnisse beizutragen.
Mögliche Veränderungen unter Präsident Biden: In einem umfassenden Sinn wird es der amerikanisch-europäisch-ostasiatischen Wertegemeinschaft darum gehen müssen, den ideellen und strategischen Schaden zu reparieren, den die westlich-liberal geprägte internationale Ordnung in vier Jahren TrumpPräsidentschaft genommen hat. Die USA sind als westliche Führungsmacht im Nordatlantik und im Indo-Pazifik militärisch und ideell gefordert; die Europäer ihrerseits müssen amerikanische Erwartungen erfüllen, denn die Unausgewogenheit der Lastentragung im Verteidigungsbereich war keine „erfundene Baustelle“ von Trump. Biden wird auf der grundsätzlichen Forderung höherer Verteidigungsausgaben der europäischen Partner und eines autonomeren Beitrags zu Sicherheit und Stabilität des Kontinents bestehen.
Auch die von Trump beschädigte Rolle und Funktion des multilateralen Netzes, das die Staatenwelt zu einem gewissen rechtsstaatlich inspirierten Verhalten anhält, ist unter Bidens Führung zu erneuern. Die sensibelsten Gebiete betreffen die Verhinderung der nuklearen Proliferation und die Durchsetzung von Menschenrechts- und Umweltschutzstandards. Biden hat durchblicken lassen, dass er das nunmehr gesetzte Hauptthema der aussenpolitischen Herausforderungen – ‘push back’ gegen China – weiter prioritär verfolgen wird, mit der Zusage höherer Konsistenz und zielstrebigerer Durchsetzung nicht nur von wirtschaftlichen Interessen, sondern auch ideellen Werten. Voraussetzung dazu ist die Erneuerung der traditionellen Bündnisse im Grossraum Asien-Pazifik. Die enttäuschten und wiederholt von Trump getäuschten Partner Japan und Südkorea erwarten eine neue Aufwertung ihrer Rolle. Auch Taiwan und Indien dürften systematischer in strategische Visionen der USA einbezogen werden.
Im Mittleren Osten kann Biden, mit besten Absichten, nicht dort anknüpfen, wo Trump die beschriebenen regionalen Entwicklungen ausgelöst hat. Kommt dazu, dass jede Annäherung an Iran, so wünschenswert sie aus strategischen und stabilitätspolitischen Gründen sein mag, an der grossmehrheitlichen Parteinahme von Volk und Politik in den USA zugunsten von Israel scheitert. Biden kann bestenfalls hoffen, in die traditionelle Rolle des regionalen „honest broker“ zurückzufinden.
3- Wirtschaft
3.1. Inland:
Offiziell war eine Mehrheit der Wirtschaftselite 2016 gegen Trump und für Hillary Clinton. Zu staatspolitisch bedenklich und zu gesellschaftspolitisch unappetitlich präsentierte sich der Kandidat schon vor seiner Wahl. Insgeheim war man aber erleichtert, dass mit einem Republikaner am Ruder von einer wirtschaftsfreundlichen Politik der neuen Regierung ausgegangen werden konnte. Diese Erwartung wurde nicht enttäuscht. Der ‘Trump bump’, ein kurzfristiger Wirtschaftsaufschwung nach dem Wahljahr und anschliessen ein Höhenflug der Finanzmärkte, beeinflusst auch durch Abbau staatlicher Regelungen (Umwelt) sorgten dafür, dass es der Wirtschaft gut ging.
Oder jedenfalls jenen an der Spitze; via ungleich verteilte Steuererleichterungen füllten sich die Taschen des berühmt/berüchtigten ‘One Percent’ mehr als je zuvor. Wie schon in der Folge der fiskalischen Krisenbekämpfung nach 2007/8 stiegen die Kapitalerträge ungleich schneller als die Löhne.
Anlässlich der ‘Midterm’-Wahlen im Herbst 2018 erfolgte eine gewisse Korrektur der Mehrheitsverhältnisse zugunsten der Demokraten, worauf sich die Trump-Administration auf kurzfristig wirksame Handelsmassnahmen gegen ausländische Anbieter konzentrierte insbesondere aus China, aber nicht nur (Kanada, EU). Im nordöstlichen ‘rust-belt’, in Staaten welche Trump 2016 nur knapp gewann, machte sich Unruhe bemerkbar? Flugs wurde Zölle auf Stahl und anderen Industriegütern erhoben. In den ländlich geprägten Hochburgen von Trump brachte die Landwirtschaft ihre Produktion nicht mehr ab? Neue Zollschranken gegen ausländische Landwirtschaftsprodukten und Drohung mit neuen Zöllen gegenüber Beijing, wenn dieses nicht massiv mehr amerikanische Soja kaufe, brachten kurzfristige Abhilfe. Dass sich damit die amerikanische Politik gegen China insgesamt in den Schwanz biss – mehr Handel im Landwirtschaftsbereich, aber gleichzeitig Abbruch von Technologieaustausch (Huawei) – kümmerte die rein auf einzelne, politisch ausschlachtbare ‘deals’ basierende Politik dieses Präsidenten wenig.
Nachhaltig war und ist eine solche Politik nicht. Sie mag teilweise den immer noch unerwartet hohen Anteil von Trump-Wählern in den ‘Swing-States’ 2020 erklären, dort wo nicht tiefer liegende gesellschaftspolitische Ursachen vorliegen (vgl. unten Kapitel 4). Von Seiten der Wirtschaftselite wurden aber die Zeichen der Zeit erkannt. Jedenfalls rhetorisch. Die Problematik des endgültigen Rückzuges der USA aus dem Pariser Klimaabkommen ebenso wie jene der rasch zunehmenden Ungleichheit innerhalb der amerikanischen Gesellschaft wurden von einer grossen Mehrzahl von Wirtschaftsführern in verschiedenen Verlautbarungen und Eingaben anerkannt.
Mögliche Veränderungen unter Präsident Biden: Ob hier wirklich ein Umdenken in einer Mehrheit der, für die grösste Wirtschaft der Welt Verantwortlichen stattgefunden hat, dürfte unter Biden rasch klarer werden. Es gilt als sicher, dass dieser ‘Paris’ und seinen Verpflichtungen wieder beitritt und dass er sowohl die marginalen Steuersätze für Einzelne als auch die Unternehmenssteuern anheben wird. Allein die Wirtschaftselite dank ihrer finanziellen Wahlhilfe ist in der Lage, allenfalls weiterbestehende Barrieren zu beseitigen, welche im Senat gegen Politikveränderungen durch Biden aufgerichtet werden.
Spezielles und dringendes Augenmerk wird Biden dem spezifisch amerikanischen Problem der ‘student debt’ widmen müssen. Da die öffentliche Ausbildung in den USA billig, aber schlecht , die private gut bis ausgezeichnet, aber teuer ist und unablässig teurer wird, hat sich in den letzten Jahrzehnten eine astronomische Summe an kommerziellen Studiendarlehen angehäuft. Diese hängt wie ein Damoklesschwert über Studienabgänger rsp. Berufseinsteiger mit speziell negativem Effekt auf Frauen, welche Familie und Karriere unter einen Hut bringen müssen. Hier wird eine gemeinsame Initiative der Bundesregierung, der Arbeitgeber und der Finanzinstitute nötig sein, um die Gewichte im früher einmal meritokratisch – und nicht herkunftsbedingt – dominierten Erziehungswesen wieder zurecht zu rücken.
3.2. Ausland:
Der sich immer weiter vertiefende Konflikt zwischen den USA und China hat einen ersten weltweiten Schock ausgelöst, dessen Auswirkungen noch unabsehbar sind: Die Aufteilung der digitalen Welt in zwei, später wohl mehrere Einflusszonen. China nabelt sich vom weltweiten Web zunehmend ab. Dazu beigetragen hat einerseits der Ausschluss chinesischer Technologie im Westen (Huawei), gleichzeitig aber auch die gezielte Ausrichtung aller staatlichen Technologie auf Überwachung und Sanktionierung jedes einzelnen seiner Bürger (social credit system).
Strategisch speziell gefährlich ist dabei, dass Festlandchina (noch?) nicht über für die digitale Weiterentwicklung entscheidende Fähigkeiten verfügt. Speziell in der Halbleiterindustrie, bei der aber Taiwan Weltmarktführer ist. Ein handstreichartiger Ausgriff, nicht unbedingt primär militärischer Natur auf die Insel, welcher Präsident Xi ohnehin mit der baldigen ‘Heimholung ins Reich’ droht, hätte unabsehbare weltweite Konsequenzen. Auch im wirtschaftlichen Bereich hat die Trump-Regierung ihr Bestes getan, multilaterale Strukturen zu schwächen. In der WTO hat sie den Streitbeilegungsmechanismus gelähmt und verhindert die Wahl einer neuen Generaldirektorin der Organisation. In der Folge der Blockierung der Welthandelsorganisation erlangen die grossen regionalen Zusammenschlüsse vermehrt Bedeutung. Auch hier hat Trump zerstört. Durch den Rückzug der USA aus einem in Aushandlung begriffenen pazifischen Wirtschaftsraum TPP (Trans Pacific Partnership) hat er dieses Projekt soweit geschwächt, dass nun der ursprünglich von China als Konkurrenz angelegte RCEP (Regional Comprehensive Economic Partnership)-Vertrag, der viel weniger weit geht, im Zentrum des pazifischen Freihandels steht.
Im Weltwährungsfonds, dem zentralen Organ für Hilfe an die von der Coronakrise schwer getroffenen Schwellenmärkte blockiert Washington die Ausgabe von Sonderziehungsrechten und hält somit den gesamten Rettungsprozess für die Wirtschaften auf. Ein weiteres Zeichen, wie die Trump-Regierung auch und gerade im Wirtschaftsbereich auf dem ausschliesslichen Recht des Stärkeren beharrt hat und so das gesamte multilaterale System bedroht. Ein System, das seit dem 2. Weltkrieg im Ganzen gesehen zufriedenstellend funktioniert hat und jedenfalls einer Situation des ‘Jeder gegen Jeden’ vorzuziehen ist.
Möglichen Veränderungen unter Präsident Biden: Im völligen Gegensatz zu Trump ist Biden ein bekennender Multilateralist. Er weiss, dass ein nach amerikanischem Vorbild geschaffenes, und mit amerikanischem Einsatz aufrechterhaltenes System letztlich Vorteile auch und gerade für die USA hat. Er wird also die eben erwähnten Trump-Blockaden im Multilateralen so schnell als möglich aufheben. Soweit ihm das die durch Trump völlig zerrütteten Staatsfinanzen erlauben. An erster Stelle wird dabei wohl eine finanzielle und generell wirtschaftliche Unterfütterung des ‘Pivot to Asia’ (siehe oben 2.2) kommen. Um im AP konkurrenzfähig zu bleiben, müssen die USA der grenzenlosen Finanzierung via die chinesische BRI (Belt and Road Initiative) Substanz entgegensetzen.
Was regionale Wirtschaftsabkommen anbelangt, wird Biden versuchen müssen, durch einen nachträglichen Beitritt den TPP so attraktiv zu machen, dass allseits, also auch für China ein Zusammenführen der beiden dann grössten Freihandelszonen der Welt unumgänglich erscheint. Falls es einmal so weit kommen sollte, wird das Wirtschaftsabkommen zwischen Nordamerika (Nachfolgestruktur von NAFTA) und der EU (TTIP, Transatlantic Trade and Investment Partnership) umso dringender. Ähnlich wie politisch via NATO wird Biden also auch im Wirtschaftsbereich die zerrüttete Beziehung über den Atlantik wiederherstellen müssen. Was übrigens den vernünftigen EU-Mitglieder vermehrt die dringend notwendige Zurechtweisung der europäischen ‘Minitrumps’ , so etwa in Ungarn, Polen und Slowenien erlauben wird.
4- Gesellschaft
4.1.Inland
Die USA, wie alle anderen Demokratien der Welt waren immer, und bleiben unvollständig. Unter Trump hat aber eine in der jüngeren Geschichte einmalige Rückentwicklung der amerikanischen Demokratie stattgefunden. In der Wahlnacht vom 3. November 2020 und in den Tagen danach hat der amtierende Präsident nichts weniger als einen kalten Staatsstreich versucht. Seiner seit vier Jahren andauernden Staatsführung beruhend auf beruflicher Inkompetenz und Charakterschwäche hat er mit dem Märchen einer ‘gestohlenen Wahl’ die endgültige Lügenkrone aufgesetzt. Bei Niederschrift dieser Zeilen im Dezember 2020 scheint sich das real weiterhin existierende Amerika, beruhend auf gegenseitiger Gewaltenkontrolle (check and balances) durchzusetzen, womit der Trump-Spuk am 20. Januar 2021 vorbei sein sollte. Seine Spuren in der gesamten amerikanischen Gesellschaft bleiben aber.
Dazu zählt einmal eine auf Verbreitung von ‘fake news’ aus dem Weissen Haus aufgebaute Medienlandschaft. Grob vereinfacht kann gesagt werden, dass es ohne lange Zeit unkontrollierte Verbreitung solcher ‘news’ via social media und ohne die Agentur Fox-News auch keinen Präsidenten Trump, oder jedenfalls vier Jahre dauernde Präsidentschaft gegeben hätte. Nachdem nun sogar Fox die endgültige Lügenkaskade nach der Wahl zu viel geworden zu sein scheint, stehen bereits andere Gefässe bereit, um die ‘alternative facts’ der Trumpisten zu verbreiten, welche von in entsprechenden Informationsblasen eingehüllten Anhängern weiterhin für bare Münze genommen werden.
Unter letzteren sind die meist weit rechtsstehenden, schwer bewaffneten Milizen als grösste Bedrohung des Staatswesens zu sehen. Wenn ‘ihr Mann’ einmal nicht mehr im Weissen Haus residiert, kann alles geschehen, von terroristischen Anschlägen bis zu lokalem Aufruhr gegen die Staatsgewalt. Anstatt zu beruhigen, hat Trump, oft verdeckt, manchmal auch offen zu ‘Widerstand’ gegen Minderheiten aufgerufen. Trump’s persönliche Nemesis ist offensichtlich Präsident Obama, den er schon vor langen Jahren als Usurpator (angebliche Geburt ausserhalb der USA) bezeichnete. Das steht symbolhaft für die mehr oder weniger offen zur Schau getragenen Gesinnung eines guten Teils der Trumpwähler: Die Idee eines schwarzen Präsidenten ist ihnen unerträglich.
Ganz im Sinne einer Bananenrepublik hat Trump auch den Nepotismus kräftig gefördert. Seine Familienmitglieder und Kollegen wurden in hohe und höchste Ämtergehievt, ungeachtet ihrer Fähigkeiten und allein auf absoluter Loyalität basierend.
Mögliche Veränderungen unter Präsident Biden: Biden’s erste Aufgabe wird sein, den durch Trump angerichteten Schaden an der amerikanischen Demokratie wieder zu reparieren. Nicht einfach, am schnellsten werden sich die zahlreichen Trump-Loyalisten in Regierung und Verwaltung entfernen lassen. Schwieriger wird sich die Aufräumarbeit im Gerichtswesen gestalten. Symbolisch dafür steht der ‘supreme court’ wo drei der sieben Richter*innen ausschliesslich aus Loyalität zu Trump oder zumindest erzkonservativen Ansichten in dieses hohe und unkündbare Amt katapultiert worden sind. Vollends unlösbar erscheint eine kurzfristige Veränderung der politischen Landschaft, wo sich Demokraten und Republikaner weiterhin unversöhnlich gegenüberstehen.
Auch und gerade auf der höchsten und nationalen Ebene, haben sich, 2020 praktisch ausnahmslos wiedergewählte Republikaner in einem Masse dem Führerkult Trumpismus verfallen gezeigt, das noch vor wenigen Jahren unvorstellbar gewesen wäre und der für kommende Wahlen wenig Gutes verspricht. Es wird also einer Bidenregierung nichts übrig bleiben, als durch beharrliche Minderheiten- und Industriepolitik, von der Mitte der Gesellschaft aus geführt, aber mit kräftiger Hilfe an die von Globalisierung und nun noch Pandemie speziell Gebeutelten, jenen Teil der Wählerschaft nachhaltig an sich zu binden, der anlässlich des nächsten ‘show down’ an der Urne ihren wirklichen Interessen folgt. Und nicht den falschen Sirenenklängen eines neu antretenden Trump, respektive eines Klons von ihm.
4.2. Ausland
Anders als den erwähnten, notorischen Bananenrepubliken ist den USA seit dem 2. Weltkrieg eine internationale Vorbildrolle zugefallen, einmal basierend auf ihrer Grösse, Potenz und Macht, andererseits aber auch dank ihrem Sendungsbewusstsein als ‘auserwähltes Land’ (manifest destiny). Auf dieses Vorbild sind durch Trump schwere Schatten gefallen. Als globaler Hegemon wurden die USA schon immer kritisiert, manchmal zu Unrecht, oft zurecht, aber ein solch völliges Wegbrechen des Vertrauens in Washington als verlässlichem Vertragspartner ist ohne Präzedenz.
Realpolitiker werden einwenden, dass es China mit aggressivem Gepolter und entsprechend grobschlächtigen Vorgehen – aktuelles Beispiel ist Australien – fertiggebracht hat, in der internationalen Beliebtheitsskala (Pew Poll) noch hinter den USA von Trump zurückzubleiben. Und dass dank Trump Europa nun endlich realisiert hat, dass die EU eine ihrem Wirtschaftsgewicht entsprechende politische und sicherheitspolitische Identität entwickeln muss, was eine grundlegende Veränderung im nationalen Selbstverständnis aller europäischen Länder bedeutet. Speziell für ein Osteuropa, dass historisch gesehen eben erst wieder unabhängig geworden ist.
Im Wettbewerb der politischen Systeme, hat Trump das Modell der westlichen liberalen Demokratie, von Ökonomen auch liberaler Kapitalismus genannt, weiter in Verruf gebracht. Dies im Gegensatz zu autoritären Systemen, wo alles wirtschaftliche und politische Leben einem von den Spitzen des Apparats gesteuerten Imperativ folgt; in der ökonomischen Fachsprache als politischer Kapitalismus bezeichnet. Als Paradebeispiel dafür sieht sich China, dass dank seinem System sowohl seine Armen von Existenznöten befreie und gleichzeitig Katastrophen, wie die Pandemie effektiver bewältige als der Westen.
Mögliche Veränderungen unter Präsident Biden: Der mit Biden wieder eintretende respektvolle Umgangston mit Freund und offenem Visier gegenüber Feind, grundsätzlich verschieden von Trumps Geschmuse mit üblen Potentaten und gleichzeitiger Herablassung gegenüber den engsten Partnern, wird zweifelsohne positive Auswirkungen haben. Ebenso wird seine offenere Klimapolitik, rücksichtsvollere Migrationspolitik und speziell verbesserter Umgang mit den USA immer eigenen Minderheitenproblemen, den Strahlenkranz ums Haupt der Freiheitsstatue wieder vermehrt zum Glänzen bringen.
Bleibend wird allerdings der Schock nachwirken, wie schnell, wie gründlich und wie bösartig mit Trump das globale Übel des Nationalpopulismus’ auch und gerade die USA in Beschlag nehmen konnte. Das wird nicht eine oder auch zwei Amtsperioden einer Bidenregierung ungeschehen machen können.
5- Ausblick
Gekoppelt mit der Coronakrise hat Trump das Jahr 2020 zum ersten grossen Krisenjahr des laufenden Jahrhunderts gemacht.Entscheidend zu einem optimistischeren Ausblick auf 2021 und darüber hinaus trägt der Machtwechsel in Washington bei. Die düstere Hypothese von Sinclair Lewis ‘It could happen here’ – der Übergang der ältesten und mächtigsten Demokratie der Welt in ein autoritäres, später totalitäres System – hat sich damit glücklicherweise nicht bewahrheitet. Allerdings knapp und unvollständig, jedenfalls bis zur Senatswahl im Bundesstaat Georgia Anfang des nächsten Jahres. Unbesehen auch davon, wird die vom Trumpismus geprägte Republikanische Partei die amerikanische Politik weiter mitbestimmen.
Die Auseinandersetzung mit Nationalpopulisten und ihren Anhängern wird auch in der Zukunft weitergehen. In den USA und in Europa. Damit auch die Auswirkungen auf den Rest der Welt. Dort wo autoritäre, illiberale Systeme – das China von Xi Jinping, das Russland von Putin, immer mehr auch das Indien von Modi, die ideologischen und feudalen Alleinherrscher im Mittleren Osten, das Brasilien von Bolsonaro – im Wettbewerb stehen mit dem liberalen Westen um die grosse Mehrheit von Schwellenländern, welche auf Unterstützung, Allianzen und Vorbilder angewiesen sein.
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