Die Huthi, das Rote Meer und die Weltwirtschaft
Seit dem Ausbruch des Gaza-Krieges werden Auswirkungen auch auf andere grosse aber (noch) nicht explodierte Krisen in der Region befürchtet. Im Vordergrund steht dabei der Konflikt an der Nordgrenze Israels gegen die Hezbollah. Bislang hat Iran, die Schutzmacht dieser den Libanon weitgehend beherrschenden Schiitenmiliz keine freie Hand gegeben, den israelischen Erzfeind, mit Gaza beschäftigt, im Rücken anzugreifen. Etwas weniger iranische Zurückhaltung, allerdings ohne Freipass, scheint sich Teheran aufzuerlegen mit einer weiteren Schiiten- Miliz unter seinen Fittichen, den Huthis im Jemen. Diese haben seit ein paar Wochen die Schifffahrt im Roten Meer unterbrochen, wofür militärische Stützpunkte im Jemen von US- und UK-Einheiten beschossen worden sind. Die EU will im Februar entscheiden, ob sie sich an dieser weiteren westlichen Initiative zur Aufrechterhaltung freier Schifffahrt im Nahen Osten beteiligen will, wie sie das seit einiger Zeit im Persischen Golf macht. Eine Ausweitung der Krise im Roten Meer hat das Potenzial, im Nahen Osten einen Flächenbrand zu entfachen, mit unabsehbaren geopolitischen und weltwirtschaftlichen Folgen.
Die Huthi, Jemen und die Anrainer des Roten Meeres
Das Öl und Gas der Anrainer des Persischen Golfs, welches via die Strasse von Hormuz nach Europa exportiert wird, gelangt um das östliche Ende der arabischen Halbinsel herum ins Rote Meer. Dieser einzige Weg zum Suezkanal, auch für alle anderen Schiffstransporte, führt dabei durch die Meerenge zwischen Jemen im Norden und Dschibuti im Süden, genannt Bab al-Mandab, ‘Tor der Tränen’. Das ist historisch und aktuell wörtlich zu verstehen.
Jemen
Der Jemen ist seit Jahrzehnten in mörderische Stammeskriege und in Auseinandersetzungen mit Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten verwickelt, womit das Land und seine Bevölkerung zum verwüsteten Armenhaus Arabiens geworden sind. Im Gegensatz zu den anderen Staaten der Halbinsel konnte im Jemen, das nur über geringe Rohstoffvorräte verfügt, kein einzelner Stamm, wie etwa die al-Saud im grossen Nachbarland, das Land dank unermesslichem Öl- Reichtum befrieden. Um die gegenwärtigen Konflikte zu verstehen, genügt die grobe und ideologisch nicht ganz korrekte Unterscheidung zwischen den Rebellen der schiitischen Huthi und den sunnitischen Stämmen, welche die offizielle Regierung stellen, über den Grossteil der Landfläche herrschen, aber nicht über den bevölkerungsreichen Norden am Roten Meer mit der Hauptstadt Saana, wo die Huthi regieren.
Die sunnitischen Saudi-Arabien und VAE haben in den vergangenen Jahren mit Hilfe westlicher Waffentechnologie die Huthis zu vertreiben versucht, was aber spektakulär misslang, da diese ihrerseits neben eigenen kampferprobten Truppen – die vormals gesamt-jemenitische Armee wird heute von den Huthi dominiert – auf iranische Hilfe zählen können. Trotz gewissen ideologischen Differenzen kamen die schiitischen Iraner den arabischen aber schiitischen Jemeniten gegen ihre internen sunnitischen Rivalen zu Hilfe, womit sich im Jemen ein eigentlicher Stellvertreterkrieg Iran – Saudi Arabien entwickelte. Die VAE setzte sich als Erste ab und die Saudis haben ihr ursprüngliches Kriegsziel aufgegeben. Riad ist in Verhandlungen mit den Huthis, um gegen einen völligen Rückzug eine dauernde Befriedung seiner Grenze zum Jemen zu erhalten. Ob sich die Saudis damit an westlichen Militäraktionen gegen die Huthis beteiligen werden, ist fraglich.
Huthi-Armee
Was bleibt ist eine grundsätzlich altmodische, aber auch mit modernem Kriegsgerät aus dem Iran ausgerüstete Huthi Armee von rund 200’000 Mann, ohne Beschäftigungsmöglichkeit ausser Kriegsführung, mit extrem-islamistischer Ausrichtung gegen Israel und den Westen. Gegenüber ihren internen Rivalen müssen die Huthi im strenggläubigen Jemen damit auch beweisen, was für devote Muslim sie sind. Daher die Raketenangriffe auf einen immer weiter gezogenen Kreis von Schiffstransporten, nicht nur Öltanker, die sich gezwungenermassen nahe der jemenitischen Küste Richtung Suezkanal bewegen.
Das afrikanische Horn
Die geopolitische Lage auf der Südseite des Bab ist kaum besser, mit der kleinen Ausnahme von Dschibuti, wo sich Militärmächte mit eigenen Basen oder Logistikzentren – die USA, China, Frankreich, Italien, bald auch Saudi-Arabien, bis vor kurzem gar Deutschland – gegenseitig in Schach halten. Im übrigen Horn von Afrika finden sich Somalia, ein failed state auf einem sehr langsamen Rückweg zur Normalität mit dem grossen, de facto unabhängigen nördlichen Teil Somaliland, ein vom ehemaligen Friedens(!)nobelpreis Abi Ahmed heute diktatorisch regiertes Äthiopien, das gegen eigene Minderheiten Krieg führt, sowie das ebenfalls streng diktatorisch regierte Eritrea, das seine Leute und Probleme seit langem nach Europa, auch und gerade in die Schweiz exportiert. Ein kürzlicher Vertrag zwischen Addis Abeba und Somaliland, mit dem das Binnenland Äthiopien Meerzugang erhält, von der somalischen Zentralregierung naturgemäss vehement verurteilt, lässt die Spannungen weiter steigen.
Insgesamt eine Konfliktregion par excellence, gleichzeitig von geopolitischer und, wegen dem Zugang zum Suezkanal, weltwirtschaftlicher Bedeutung.
Iran
Die regionale Rolle der Islamischen Republik Iran lässt sich nicht auf einen einfachen Nenner bringen. Unverändert ist ihre ideologische und strategische Ablehnung Israels und der USA. Komplexer erweist sich Irans Reaktion auf Israels Gaza-Krieg. An Israels Nordgrenze mit Libanon hat die örtliche Miliz der schiitischen Hezbollah eine militärische Drohkulisse aufgebaut, die mit wesentlicher finanzieller und rüstungstechnischer Unterstützung Irans zustande gekommen ist. Es wäre der Hezbollah und hinter ihr Iran ein leichtes gewesen, eine zweite Front zu eröffnen und damit Israel in einen grösseren Krieg zu zwingen. Dieser strategische Schachzug ist aber nicht erfolgt. Offensichtlich beschränken sich die Hezbollah und Iran damit, eine hohe militärisch-operative Spannung aufrecht zu erhalten, ohne einen eigentlichen Flächenbrand auszulösen.
Iran und die Huthis
Ähnlich muss Irans Reaktion auf den amerikanisch-britischen Luftangriff auf Huthi- Stellungen verstanden werden. Deklaratorische Verurteilung und gezielte Luftschläge gegen amerikanische Positionen in Syrien und Irak mit geringer regionaler Wirkung drücken auch in diesem Fall eher eine Strategie des erhöhten Drucks auf das doppelte Feindbild Israel-USA aus, als eine umfassende Kriegsstrategie. Die Beurteilung iranischen Vorgehens muss immer mitberücksichtigen, dass die Führung nach innen und nach aussen in verschiedenen Dilemmata steckt. Generell wird Iran auch bei „gemeinsamer Sache“ mit arabischen Regierungen gegenüber Israels Gaza-Krieg nie damit rechnen können, die grundlegenden Gegensätze zu überwinden, die seine Beziehungen mit seiner arabischen Umgebung prägen. Zusätzlich kämpft die iranische Führung mit einem internen, teils von aussen terroristisch gesteuerten bewaffneten Widerstand, wie das Massaker in Kerman demonstriert hat. Irans Reaktion darauf ist die Bombardierung von Stützpunkten in Pakistan, die angeblich als Ausgangslage für inner- iranischen Terrorismus dienen. Die Ironie dieser Luftschläge gegen seinen östlichen Nachbarn ist, dass Pakistan Irans Schutzmacht in Washington ist. Iran hat seine Position gegenüber den USA mit dieser jüngsten Episode nicht verbessert. Es lässt sich deshalb generell gut vorstellen, wie auch Iran in der Komplexität seiner Beziehungen im Vieleck sunnitischer Terrorismus – Saudi Arabien – Huthi – Palästinenser in Israel und in Gaza – Israel – USA mit Ratlosigkeit fertig werden muss. Es gibt in der Region auch keine iranische Eindeutigkeit in der Verteidigung seiner strategischen Interessen.
Die Gefährdung der Weltwirtschaft
Die Bedrohung der wichtigen Schifffahrtsroute im Roten Meer hat bei den weltgrössten Rückversicherungsgesellschaften das Fass zum Überlaufen gebracht. In ihren Verträgen mit den grossen Versicherungsgesellschaften haben sie neuerdings Kündigungsklauseln ‘im Fall eines Nahostkonfliktes’ eingebaut. Dies zusätzlich zur Erhöhung der Prämien und zu Vorschriften über capping von Risiken der Versicherer in Ländern der Konfliktregion. Solche Preissteigerungen werden natürlich weitergegeben, so haben sich etwa die Versicherungsprämien für Schifffahrt durch das Rote Meer und den Suezkanal in den letzten Monaten steil nach oben entwickelt. Versicherungsprämien sind bekanntlich der ‹Kanarienvogel in der Kohlemine’, ein early warning Zeichen für bevorstehende Krisen im Welthandel und damit auch der Weltwirtschaft.
Ein Konflikt zu viel
Nun haben grosse Seefrachtunternehmen bekanntlich ihre Routen nach Europa vom Suezkanal weg um den afrikanischen Kontinent herum geleitet, was eine weitere Erschwerung aber noch keine Katastrophe für die Weltwirtschaft bedeutet. Ebenso wird im Westen gehofft, dass gezielte und im Moment limitierte Militärschläge gegen Huthi- Stellungen – die Rebellen verfügen weder über ein grenzenloses noch ein umfassendes Waffenarsenal modernen technologischen Zuschnitts – diese zum Einhalten und Iran zu mässigendem Einfluss auf sie zwingen könnte. Falls aber solche Voraussetzungen nicht eintreffen, dann sind all bets open. Eine explodierende Krise im Roten Meer mit massiveren Eingriffen von allen Beteiligten – man darf nicht vergessen, dass die Freihaltung der Weltmeere ein globales Gebot darstellt für den Westen und insbesondere die USA, siehe etwa Meerenge von Taiwan – könnte zu einem Flächenbrand werden, dem berühmten ‘einen Konflikt zu viel’.
Picture: NASA Johnson