Mit Diktatoren verkehren

September 4, 2018

Wie Europa als Hort rechtstaatlicher Demokratien, darunter der Schweiz mit national-populistischen Autokraten umgeht, ist zentral für die Positionierung der EU als Gegenpol.

Der Aufstieg von ‘starken Männern’ unter dem Banner von National-Populismus ist weltweit und in Europa real. China unter Xi-Jinping, Russland unter Putin, die Türkei unter Erdogan, aber auch die von Trump scheinbar hypnotisierten USA sind Beispiele von weltweiter geopolitischer Bedeutung. Global weniger schwerwiegend, aber krasse weitere Fälle sind etwa das Venezuela unter Chavez und Maduro und die Philippinen unter Duterte. In Europa sind es Orban in Ungarn und Kaczynski in Polen, die Sorgen bereiten, neuerdings auch Salvini in Italien und die Rechte in Österreich.
Die Literatur zu den internationalen Beziehungen ist voll von Untergangsszenarien der westlichen Demokratien. In der dominierenden angelsächsischen Lehre stellen Levitsky/Ziblatt (Harvard) fest: How Democracies Die und Edward Luce (Financial Times) sieht The Retreat of Western Liberalism, David Runcimann (Cambridge) gar das Ende: How Democracy Ends, ganz zu schweigen von den Neuauflagen des amerikanischen Klassikers der 1930er Jahre It Can’t Happen Here von Sinclair Lewis.
Hier soll aber nicht vom Prinzip die Rede sein, sondern von der Praxis. Wie können und sollen europäische Regierungen und die Institutionen der EU sich gegenüber der politischen Bewegung National-Populismus verhalten sowohl innerhalb Europas als auch auf der politischen Weltbühne? Alle Teile der Union sind gefordert, denn die ehemals klassische Zuteilung aller Aussenpolitik an den Nationalstaat gilt im Europa der EU schon lange nicht mehr. Glücklicherweise, wie insbesondere die Beispiele Ungarn und Polen zeigen.

Was Russland anbelangt, so ist Putin militärisch erfolgreich, etwa in der Ukraine und in Syrien, wirtschafts- und gesellschaftspolitisch im Lande selbst aber nicht. Entsprechend muss europäische Aussenpolitik reagieren. Politisch erscheint Putin ‘incontournable’, ohne ihn ist weder in der Ukraine noch im Nachkriegssyrien eine Lösung zu finden. Wirtschaftlich ist er aber abhängiger von der EU als umgekehrt.
Bundeskanzlerin Merkel reagiert darauf mit häufigen Treffen, um beispielsweise im Gegenzug zu europäischer Wiederaufbauhilfe in Syrien eine dauerhafte Abkehr von russischer Aggressionspolitik in der Ukraine zu erhalten. Politisch signalisiert die Bundeskanzlerin, dass Europa nicht allein auf Trump und die unter ihm in Isolationismus verfallenden USA angewiesen sind.
Anders das Verhalten der österreichischen Aussenministerin, die Putin an ihre Hochzeit lud. Solche Anbiederung an ‘starke Männer’ spielt in deren Hände, da sie eine persönliche Verbundenheit signalisiert, ohne dass damit irgendwelche Konzession des Potentaten zu erhalten wäre.

Mit dem Wirtschaftsgiganten China, der ‘Produktionsmaschiene der Welt’, einen sowohl aussen- als auch wirtschaftspolitisch vertretbaren Kurs zu fahren erfordert subtiles Balancieren zwischen Wirtschaftsinteressen, geschmeidiger Diplomatie und handfester Insistenz auf sakrosankten Prinzipien, wie demokratischer und rechtstaatlicher Freiheit. Konkret bedeutet dies beispielsweise offizielle Bereitschaft zur vollen Mitwirkung am chinesischen Jahrhundertprojekt BRI (Belt and Road Initiative, neue Seidenstrassen), aber gleichzeitig den öffentlichen Ratschlag an eigene Unternehmen, sich bei Teilnahme an BRI-Projekten gründlich abzusichern gegen chinesischen Export von Überschüssen und Ramschfirmen. Ebenso gegen Grossprojekte, welche zwar chinesische Banken und Firmen bereichern, als ‘weisse Elephanten’ aber Empfängerländer in jeder Hinsicht belasten.
Keine gute Idee ist vorauseilender Gehorsam und schmeichlerische Anbiederung. Der frühere britische Premierminister Cameron wollte vor einigen Jahren einen schnellen Vorsprung gegen europäische Produktionskonkurrenz herausholen mit einem pompösen Staatsempfang für den chinesischen Präsidenten, eingeschlossen Empfang bei der Königin, und gleichzeitig demonstrativ kalter Schulter gegenüber dem Dalai Lama. Ein Blick auf aktuelle Wirtschaftsstatistiken zeigt, dass normaler Umgang mit einer respektierten, aber nicht befreundeten Weltmacht, gepaart mit Qualitätsprodukten, der BRD im Vergleich mit dem UK ungleich bessere Ergebnisse im China-Handel beschert hat.

Nun zur Türkei: Erdogan ist ein Paradebeispiel, wie Realpolitik durchaus mit prinzipientreuer Aussenpolitik verbunden werden kann. Das Land ist als geographische Mitte zwischen dem Mittleren Osten und Europa, als Brücke zwischen Islam und dem christlichen Abendland, als Barriere gegen unkontrollierte Armutsimmigration aus der europäischen Peripherie sowie als Herkunftsort einer gewichtigen Diaspora in Mittel- und Nordeuropa grundsätzlich ein Hauptpartner unseres Kontinents und wird dies auch bleiben. Wenn unter dem gegenwärtig herrschenden Autokraten am Bosporus dieses Verhältnis von ihm vergiftet wird, bedeutet dies nicht Abbruch, aber distanziertere bilaterale und multilaterale Kontakte mit der Türkei. Also eher ein Arbeitsbesuch von Erdogan in der BRD, und nicht ein offizieller Staatsbesuch, wie ihn Berlin für die zweite Hälfte 2018 vorsieht. Ebenso eine allfällige Suspension von türkischen Mitgliedsrechten im Europarat, dem institutionellen Anker für Menschenrechte und Rechtsstaat in Europa.
Von Seiten der EU Organe wird immer klarer signalisiert, dass ohne rechtsstaatlichen Paradigmenwechsel in der Türkei Beitrittsverhandlungen ausgeschlossen, aber auch eine Assoziation schwierig sein wird.
All dies ist momentan machbar, weil sich Erdogan nach dem Bruch mit den USA unter Trump auch wieder stärker an Europa anlehnen will.

Und wie ist gegenüber jenen Ländern Europas zu verfahren, welche aus dem durch die Mitgliedsverpflichtung gegebenen, rechtsstaatlichen Rahmen fallen oder sich bei der politischen Einigung Europas abwartend verhalten? Alle diese, eingeschlossen die Schweiz sind ungleich stärker von der Union abhängig als umgekehrt. Die EU wird hier zukünftig härter vorgehen, da sehr viel auf dem Spiel steht. Seit der alarmierenden ‘Trumpisierung’ der internationalen Beziehungen, und des damit verbundenen Orientierungsverlustes im alten Westen, trägt Europa mehr Führungsverantwortung auf der Weltbühne. Diese kann die EU aber nur erfolgreich wahrnehmen, wenn alle europäischen Länder sich mit denselben Prinzipien, und demselben Einsatz hinter den zwei blauen Europa-Fahnen mit den goldenen Sternen scharen, jener für die EU und jener für den Europarat.

Dies gilt auch für den europäischen Aussenseiter Schweiz. Unsere Europapolitik war bislang praktisch ausschliesslich innenpolitisch bedingt, ohne auf den geopolitischen Hintergrund der internationalen Beziehungen Rücksicht zu nehmen. Das gegenwärtige innerschweizerische Seilziehen um Prinzip und Ausgestaltung eines Rahmenvertrages mit der EU ist das aktuellste Beispiel solch helvetischer Nabelschau.
Abseitsstehen wird nun rasch problematischer, da europa- und weltweit sehr viel auf dem Spiel steht. Problematisch nicht nur wegen fehlender Solidarität, sondern auch sehr handfesten Gründen. In Europa, aber auch in Asien, sind beispielsweise ernsthafte Vorschläge zu hören, die Weltwirtschaft vom Dollar abzukoppeln. Nur eine Öffnung der Schweiz Richtung EU wird es der Schweiz erlauben, bei Beratung und Beschlussfassung an solchen, unsere Wirtschaft sehr direkt betreffende Weichenstellungen vollberechtigt teilzunehmen.

Picture: coenen ludo (Matt Cardy/PA Wire)